Im letzten Blogbeitrag habe ich über die Eigenschaften und Wirkung des Bewustseins-verändernden Ketamin gesprochen.
Diese Wirkung wird auch als psychedelisch bezeichnet (aus dem Griechischen Psyche= Geist, delos=klar). Die Wirkung wird unter Anderem oft als Bewusstseins- erweiternd und Klarheit schaffend beschrieben.
Hier möchte ich auf aktuelle Informationen zu anderen Stoffen geben, die man so nie in medizinischer Anwendung vermuten würde.
Stärkere psychedelische Wirkungen als Ketamin haben die in der Öffentlichkeit illegalen Drogen LSD und Psilocybin.
Ihr legaler medizinischer Einsatz gegen Depressionen und auch andere psychische Erkrankungen wird derzeit erforscht, wie auch der von Mescalin, einem psychedelischen Wirkstoff aus Kakteen. Und es gibt Untersuchungen zum medizinischen Einsatz von MDMA, dem Wirkstoff der Partydroge Ecstasy sowie Ayahuasca, einem Pflanzensud aus einer halluzinogenen Liane, die südamerikanische Schamanen benutzen.
Die Schweiz ist eines der wenigen Länder, die mit strengen Ausnahmeregelungen die klinische Forschung an diesen Substanzen ermöglicht.
Psychedelische Erfahrungen ermöglichen es, sich selbst auf neue Weise zu erkennen, verborgene Traumata zu bearbeiten und gänzlich unbekannte Bewusstseinszustände zu erleben. Solche Wirkungen können Depressionen, Zwangserkrankungen und Angststörungen positiv beeinflussen. Es gibt Berichte, nach denen langjährige psychiatrische Erkrankungen durch wenige psychedelische Erfahrungen deutlich gebessert wurden.
LSD - eine wechselvolle Karriere
Die medizinische Wirkung von LSD wurde schon in den 40er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts von Albert Hoffman in Basel untersucht. 1949 brachte der Pharmakonzern Sandoz LSD als Medikament auf den Markt, laut Beipackzettel "zur seelischen Auflockerung bei analytischer Psychotherapie, besonders bei Angst- und Zwangsneurosen." Die psychedelische Psychotherapie war in der Folge populär und wurde weltweit erforscht. Aber der US-amerikanische Krieg gegen die Drogen zu Beginn der 1970er-Jahre führte weltweit zu einem Stopp jeglicher wissenschaftlicher Arbeiten mit psychedelischen Substanzen.
Die US Armee hatte während des Vietnamkriegs bei Versuchen festgestellt, dass zwar Vietnam-Veteranen ihre traumatischen Erlebnisse besser verarbeiten konnten, jedoch die Probanden nach den Behandlungen nicht mehr bereit waren, eine Waffe gegen einen Menschen zu richten…
Erst in den letzten Jahren ist die Erforschung vor allem von LSD und Psilocybin wieder in Gang gekommen. Die Schweiz hat hier eine Vorreiterrolle weltweit.
Heilsame Pilze
Der psychoaktive Wirkstoff Psilocybin aus einer Gruppe von Pilzen machte in der Hippie-Ära der 60er-Jahre Karriere und wird seit den 80er-Jahren wieder wissenschaftlich untersucht. Einzelne kleine Studien zeigten eine gute antidepressive Wirksamkeit. Die amerikanische Arzneimittel-Zulassungsbehörden FDA erklärte Psilocybin 2018 zur "Breakthrough Therapy" bei behandlungsresistenten Depressionen. Inzwischen gibt es größere Studien mit unterschiedlichen Ergebnissen.
Die bisher größte europäische Studie "Episode" am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim und der Berliner Charité ist abgeschlossen. Nach bisherigen Erkenntnissen soll etwa ein Drittel der Menschen, die Psilocybin gegen Depressionen einnehmen, schnell du nachhaltig davon profitieren. Ein Drittel profitiert mehr oder weniger gut und ein Drittel nicht. Bis die Wirksamkeit abschließend beurteilt werden kann und eine Zulassung für die klinische Routine erfolgen könnte, werden nach Ansicht von Experten noch fünf Jahre vergehen.
Wie Psychedelika wirken
Der genaue Wirkmechanismus ist nicht aufgeklärt. Aber es ist bekannt, dass LSD und Psilocybin im Gehirn unter anderem wie Serotonin wirken, das sogenannte Glückshormon. Durch den Thalamus, der normalerweise Sinneseindrücke filtert und dämpft, gelangen unter dem Einfluss von Psychedelika viel mehr Informationen, die dann das Gehirn anregen. Es entstehen neue Nervenbahnen und -verbindungen. Und damit kommt es auch zu neuen, anderen Wahrnehmungen.
Menschen, die solche Erfahrungen machen, beschreiben diese oft als sehr intensiv und beglückend, ein Gefühl, das depressive Menschen lange nicht kannten. Ihnen gelingt es, sich selbst anders zu sehen und zu neuen Bewertungen eigener, auch bislang verborgener und traumatisierter Persönlichkeitsanteile zu finden.
Risiken der psychedelischen Therapie
Wie bei jeder medizinischen Therapie stehen dem Nutzen Risiken gegenüber, die in eine Bewertung einbezogen werden müssen. Es kann zu akuten körperlichen Nebenwirkungen wie Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen, Schwitzen oder Schwindel kommen. Die psychedelischen Wirkungen können sehr stark sein. Verdrängte Erfahrungen können ins Bewusstsein rücken, die schwierig zu verarbeiten sind. Deshalb sollen therapeutische Sitzungen, bei denen Psychedelika eingenommen werden, in einem geschützten Setting stattfinden, das Sicherheit und Geborgenheit bietet. Die Erfahrungen durch die psychedelische Wirkung sollen psychotherapeutisch eingeordnet und so nutzbar gemacht werden. Insgesamt gelten die Risiken einer psychedelischen Therapie als gering, wenn sie innerhalb eines solchen therapeutischen, gesicherten Rahmens erfolgt.
Eine Kontraindikation für die Einnahme von Psychedelika sind Psychosen, wie sie beispielsweise bei einer Schizophrenie vorkommen. Psychedelische Erlebnisse könnten diese verschlimmern. Ohne geschützte Rahmenbedingungen besteht das Risiko, dass latente Psychosen ausgelöst werden. Deshalb muss vor einer medizinischen Anwendung eine solche Veranlagung ausgeschlossen werden.
Paradigmenwechsel in der Psychiatrie
Die psychedelische Therapie steckt noch in den Kinderschuhen, in großen Teilen ist sie noch nicht Teil der medizinischen Routine. Nur die Ketamintherapie ist als psychiatrische Behandlungsform zugelassen und wird schon klinisch angewendet. Das Ziel ist es, eine chronische Erkrankung nicht mehr dauerhaft zu behandeln, um sie zu unterdrücken, sondern im besten Fall durch eine kurzfristige Therapie eine langfristige Genesung zu bewirken. Das wäre ein grundlegender Wandel, Forschende sprechen von einem Paradigmenwechsel. Psychedelische Erlebnisse können heilsame Wirkungen haben. Deren Erforschung als psychiatrische Therapie bedeutet, dass es in Zukunft eine ganz neue Behandlungsoption für schwere chronische Erkrankungen wie Depression, Zwang oder Sucht geben könnte.
Edgar Mestre, Oktober 2024
Quelle (Inhalt durch den Autor redigiert und verändert): www.ndr.de/ratgeber/gesundheit
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